Radiologische Diagnostik der Osteoporose: Alles, was Sie wissen müssen – ein Interview mit Dr. med. Stephan A. Meier, Chefarzt für Radiologie des Spitals Zollikerberg
Dr. med. Stephan A. Meier
16. Juli 2025
10 min
Osteoporose bleibt oft lange unbemerkt – die Radiologie spielt eine entscheidende Rolle bei der frühzeitigen Erkennung. Im Interview erklärt der Chefarzt der Radiologie, Dr. med. Stephan A. Meier, welche Verfahren eingesetzt werden, wer besonders gefährdet ist und worauf Patientinnen und Patienten achten sollten.
Welche Rolle spielt die Radiologie bei der Diagnose von Osteoporose – und ab wann sollte eine Untersuchung in Betracht gezogen werden?
Die Radiologie spielt eine zentrale Rolle bei der Diagnose und Beurteilung von Osteoporose. Bildgebende Verfahren machen Knochendichte und Frakturen sichtbar und liefern damit entscheidende Informationen zur Früherkennung, Diagnosestellung, Frakturanalyse und Verlaufsbeobachtung. Die DXA-Messung ist dabei das wichtigste Verfahren zur primären Diagnostik. Laut Leitlinien und Fachgesellschaften (zum Beispiel DVO, dem Dachverband Osteologie) wird eine Untersuchung für Frauen ab 70 und Männer ab 80 Jahren empfohlen – sofern keine Risikofaktoren vorliegen.
Welche bildgebenden Verfahren kommen bei der Knochendichtemessung zum Einsatz und worin unterscheiden sie sich? Was ist dabei besonders am Spital Zollikerberg?
Bei der Knochendichtemessung (Osteodensitometrie) kommen verschiedene bildgebende Verfahren zum Einsatz. Die wichtigsten sind:
1. DXA oder DEXA (Dual-Röntgen-Absorptiometrie)
Es handelt sich um ein Röntgenverfahren, bei dem der Körper mit zwei unterschiedlich stark dosierten, insgesamt jedoch schwachen Röntgenstrahlen abgetastet wird. Die Messung erfolgt hauptsächlich an der Lendenwirbelsäule und der Hüfte.
Vorteile:
- Sehr präzise und standardisiert
- Geringe Strahlenbelastung
- Goldstandard in der Osteoporose-Diagnostik
Nachteile:
- Eingeschränkte Aussagekraft bei starkem Übergewicht oder Skoliose
2. QCT (Quantitative Computertomographie)
Hierbei wird eine Computertomographie zur dreidimensionalen Knochendichtemessung angefertigt – vor allem an der Wirbelsäule, seltener an der Hüfte.
Vorteile:
- Getrennte Erfassung von trabekulärer (innenliegender) und kortikaler Knochensubstanz
- Besser geeignet bei degenerativen Veränderungen
Nachteile:
- Höhere Strahlenbelastung als bei DXA
- Teurer und weniger verbreitet
3. pQCT (periphere Quantitative Computertomographie)
Dabei handelt es sich um eine CT-basierte Messung an peripheren Skelettabschnitten wie dem Unterarm oder Schienbein. Sie wird derzeit vor allem in der Forschung oder bei speziellen Fragestellungen eingesetzt.
Vorteile:
- Misst Dichte, Geometrie und Festigkeit
- Geringere Strahlenbelastung als konventionelle CT
Nachteile:
- Eingeschränkte Verfügbarkeit
- Nicht standardisiert für die klinische Routinediagnostik
4. QUS (Quantitativer Ultraschall)
Die Knochendichte wird hier mittels Schallwellen am Fersenbein oder Finger gemessen.
Vorteile:
- Keine Strahlenbelastung
- Mobil und kostengünstig
Nachteile:
- Geringere Genauigkeit
- Nicht zur Diagnostik gemäss WHO-Kriterien zugelassen
Die DEXA gilt momentan als Standardverfahren mit hoher Genauigkeit und guter Vergleichbarkeit. Im Spital Zollikerberg setzen wir auf modernste DXA-Technologie in Kombination mit strukturierter Bildanalyse und interdisziplinärer Befundung. Die enge Zusammenarbeit mit der Endokrinologie ermöglicht eine fundierte Risikoabschätzung und individuelle Therapieplanung – alles unter einem Dach.
Wie zuverlässig ist die DEXA-Messung (Dual Energy X-ray Absorptiometry) in der Einschätzung des Frakturrisikos?
Die DEXA-Messung (Dual Energy X-ray Absorptiometry) ist derzeit der Goldstandard zur Bestimmung der Knochendichte und gilt als sehr zuverlässig in der Einschätzung des Frakturrisikos. Andere Verfahren orientieren sich in ihrer Bewertung häufig an den Ergebnissen der DEXA.
Ermittelt wird dabei der sogenannte T-Score, der die gemessene Knochendichte mit der einer jungen, gesunden Referenzpopulation vergleicht. Der T-Score korreliert gut mit dem Frakturrisiko und weist bei korrekter Durchführung eine sehr gute Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit auf. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nutzt die DEXA-Messung als Grundlage zur Diagnosestellung von Osteoporose.
Eine Einschränkung der Methode besteht darin, dass mit der DEXA lediglich die Knochendichte gemessen wird – nicht jedoch die Knochenqualität (zum Beispiel Mikroarchitektur), das individuelle Sturzrisiko, die Muskelfunktion oder das Gleichgewicht. Begleitende Erkrankungen wie Arthrose können zudem die Messergebnisse verfälschen und zu einer scheinbar höheren Knochendichte führen. Gemessen wird die Knochendichte üblicherweise an der Lendenwirbelsäule, der Hüfte und am Handgelenk – andere potenzielle Frakturlokalisationen bleiben dabei unberücksichtigt.
Um diese zusätzlichen Risikofaktoren mit in die Bewertung einfliessen zu lassen, kommen ergänzende Instrumente zur Frakturrisikobeurteilung zum Einsatz:
- FRAX®-Tool: Hierbei wird der gemessene DEXA-Wert mit klinischen Risikofaktoren (z. B. Alter, Sturzneigung, familiäre Vorbelastung) kombiniert, um die Wahrscheinlichkeit für ein zukünftiges Frakturrisiko zu bestimmen.
- TBS (Trabecular Bone Score): Der TBS ist ein ergänzender Parameter, der gemeinsam mit der DEXA-Messung erhoben wird, um eine genauere Einschätzung der Knochenqualität und des Frakturrisikos zu ermöglichen. Konkret analysiert der TBS die mikroskopische Struktur des schwammartigen (trabekulären) Knochens, die entscheidend zur Stabilität beiträgt. Die Auswertung erfolgt auf Basis der DEXA-Daten mithilfe spezieller Software. Der TBS kann insbesondere für die Lendenwirbelkörper berechnet werden, die in der DEXA-Messung üblicherweise mit erfasst sind. Als zusätzlicher Kennwert ergänzt der TBS die klassische Knochendichte und verbessert die Risikoeinschätzung – insbesondere in der modernen Osteoporose-Diagnostik, wo eine differenzierte Bewertung der Knochenqualität entscheidend ist.
Gibt es radiologische Warnzeichen oder Befunde, die oft übersehen werden, aber auf eine beginnende Osteoporose hindeuten können?
Radiologische Warnzeichen oder Befunde, die auf eine beginnende oder bestehende Osteoporose hinweisen können, sind Wirbelkörperformveränderungen, sogenannte Keil-, Fisch- oder Plattwirbel. Auch diskrete Höhenminderungen der Wirbelkörper können Frühzeichen sein. Formveränderte oder bereits zusammengebrochene Wirbelkörper ohne erinnerliches Trauma deuten auf insuffiziente Frakturen hin.
Oft findet man zudem ein verstärktes «Durchscheinen» des Knochens, was auf eine reduzierte Spongiosastruktur (das innere des Wirbelkörpers) hindeutet.
Generell sind Frakturen ohne adäquates Trauma, etwa an Rippen, Becken oder Oberarm, nach banalen Stürzen oder sogar ohne erkennbares Trauma, ernstzunehmende Warnzeichen.
Wie läuft eine typische Knochendichtemessung in Ihrer Abteilung ab – und müssen sich Patientinnen und Patienten auf besondere Vorbereitungen einstellen?
Die Knochendichtemessung (DEXA) erfolgt in mehreren klar strukturierten Schritten:
- Aufklärung über Ablauf, Ziel der Untersuchung und die insgesamt sehr geringe Strahlenbelastung
- Ausfüllen eines Fragebogens, der zusätzliche Informationen zur Bewertung liefert
- Die eigentliche Messung findet auf einem flachen Untersuchungstisch des DEXA-Geräts statt. Ein Scanner fährt dabei langsam über die zu untersuchende Körperregion. Übliche Messorte sind Lendenwirbelsäule, Hüfte und ggf. der Unterarm.
Die Untersuchung dauert ca. 10 bis 20 Minuten. - Anschliessend erfolgt die Auswertung durch eine Software, welche die Knochendichte sowohl im Vergleich zu einer jungen, gesunden Referenzpopulation als auch zu altersentsprechenden Normwerten berechnet. Die Radiologin bzw. der Radiologe beurteilt zusätzlich die Bilder auf Frakturen, strukturelle Auffälligkeiten oder mögliche Fehlmessungen.
- Im Anschluss wird das Ergebnis interdisziplinär mit einer Fachärztin für Endokrinologie besprochen, sodass eine fundierte Therapieempfehlung gegeben werden kann – zum Beispiel Verlaufskontrolle, Therapieeinleitung, Vitamin-D-Check.
Welche Personengruppen sollten sich regelmässig untersuchen lassen – und gibt es Empfehlungen zur Häufigkeit der Messung?
Bestimmte Risikogruppen sollten sich regelmässig mittels DEXA-Messung untersuchen lassen, um frühzeitig eine Osteopenie oder Osteoporose zu erkennen und Frakturen zu vermeiden.
Empfohlene Gruppen:
- Frauen ab 65 Jahren, insbesondere postmenopausal
– bei Risikofaktoren auch früher - Männer ab 70 Jahren
– bei erhöhtem Risiko bereits ab 50 Jahren
Jüngere Personen mit Risikofaktoren:
- Frakturen ohne adäquates Trauma (zum Beispiel Wirbelkörper-, Radius- oder Schenkelhalsfraktur)
- Familiäre Vorbelastung (zum Beispiel Hüftfraktur der Mutter)
- Frühe Menopause (< 45 Jahre), Östrogenmangel
- Chronische Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, chronische Nierenerkrankung, Zöliakie oder Morbus Crohn
- Langfristige Einnahme knochenschädigender Medikamente:
– Kortison (ab 3 Monaten ≥ 5 mg Prednison täglich)
– Antiepileptika, Aromatasehemmer, Heparin etc. - Untergewicht (BMI < 20), Essstörungen
- Nikotin- oder Alkoholmissbrauch
- Bewegungsmangel / Immobilität
Untersuchungsfrequenz:
- Alle zwei Jahre bei bestehender Osteoporose oder Osteopenie
- Nach Beginn einer Therapie: Erste Kontrolle meist nach zwei bis drei Jahren
Wie entwickelt sich Ihrer Einschätzung nach die radiologische Diagnostik in der Osteoporose-Früherkennung – gibt es neue Technologien oder Trends?
Die radiologische Diagnostik in der Osteoporose-Früherkennung befindet sich im Wandel – mit dem Ziel, frühzeitiger, präziser und umfassender das Frakturrisiko zu erkennen. Neben der klassischen DEXA-Messung entwickeln sich derzeit mehrere neue Technologien und Trends, die das diagnostische Spektrum erweitern:
Die künstliche Intelligenz (KI) in der Bildanalyse kann unterstützend hilfreich sein. Zum Beispiel durch automatisierte Erkennung von Wirbelkörperfrakturen bereits auf Röntgen-, CT- oder MRT-Bildern. Die KI kann subtile Frakturen erkennen, die dem menschlichen Auge evtl. leicht entgehen. Auch kann durch KI ein Screening bei Routine-CTs erfolgen und so mitausgewertet werden.
High-Resolution-pQCT (HR-pQCT)
Neue Technologie mit extrem hoher Auflösung zur Darstellung der Mikrostruktur des Knochens (z. B. Spongiosa). Diese werden v. a. noch in der Forschung eingesetzt, aber sind vielversprechend für die Zukunft.
Einsatz von Wirbelkörper-Deformitätserkennung (Vertebral Fracture Assessment – VFA) bei DEXA. Dies setzen wir bereits am Spital Zollikerberg ein.
Die Zukunft der Osteoporose-Diagnostik liegt in der Kombination klassischer Verfahren (DEXA) mit intelligenten Bildauswertungen, KI, Strukturanalysen und opportunistischer Diagnostik aus bereits vorhandenen Daten. Dadurch wird eine frühere und individuellere Risikobewertung möglich – oft sogar ohne zusätzliche Untersuchungen.
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