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Ratgeber

Borderline – Ein Einblick in die Thematik mit Dr. med. Ruedi Schweizer

Dr. med. Ruedi Schweizer

Dr. med. Ruedi Schweizer

28. April 2025

lesezeit

6 min

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist ein komplexes und oft missverstandenes psychisches Krankheitsbild. Menschen, die davon betroffen sind, kämpfen mit intensiven emotionalen Schwankungen, einem instabilen Selbstbild und Herausforderungen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Doch was genau steckt hinter der Diagnose Borderline? Wie gehen Betroffene mit den Symptomen um, und wie können sie unterstützt werden? Diese Fragen und mehr beantwortet Dr. med. Ruedi Schweizer, ein erfahrener Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie und Leiter unseres Zentrums für psychische Gesundheit.

Dr. Schweizer, können Sie uns zu Beginn erklären, was genau eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist?

Das wichtigste Kriterium, das wir für die Diagnose verwenden, ist das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung. Dabei handelt es sich um tief verwurzelte, langanhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren, immer ähnlich ablaufenden Reaktionen im persönlichen, vor allem aber im sozialen Bereich zeigen. Es sind also nicht einfach «Symptome», wie wir sie beispielsweise bei einer Depression sehen, sondern vielmehr auffällige Persönlichkeitszüge, die für die Betroffenen oder ihre soziale Umgebung zu einem Leiden führen. Dies ist wichtig, denn es geht nicht um eine «Schubladisierung» einer Person wegen irgendwelchen charakterlichen Besonderheiten, sondern darum, dass daraus ein Leidensdruck erwächst. Deshalb sprechen wir von Persönlichkeit-Störung. Bis dato wurden die Persönlichkeitsstörungen in Subgruppen eingeteilt, in Zukunft wird diese Kategorisierung jedoch aufgegeben und wir werden von «Persönlichkeitsdimensionen» sprechen. Zur «emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp», wie diese Kategorie aktuell heisst, gehören Emotionsregulationsschwierigkeiten, Impulsivität, Störung des Selbstbildes, häufige Beziehungswechsel mit wechselhafter Idealisierung und Entwertung des Gegenübers, chronisches Gefühl der Leere und Neigung zu selbstdestruktivem Verhalten mit Selbstverletzungen und suizidalen Handlungen.

Unser Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Allgemeine Innere Medizin

Portraitfoto

Dr. med. Ruedi Schweizer

Ärztlicher Leiter, Zentrum für psychische Gesundheit

Zentrum für psychische Gesundheit
Privatklinik Hohenegg | Spital Zollikerberg
Trichtenhauserstrasse 12
8125 Zollikerberg

Wie häufig kommt die Borderline-Störung vor, und wer ist typischerweise betroffen?

Die Daten sind unterschiedlich, weil die Diagnose aufwändig ist und nicht wie ein Laborwert in kurzer Zeit erhoben werden kann. Man geht in der Regel von 1 bis 2 % der Bevölkerung aus. Typischerweise sind mehr Frauen betroffen und die Häufigkeit nimmt mit dem Alter ab.  

Wie äussern sich die Symptome der Borderline-Störung im Alltag der Betroffenen?

Die Betroffenen haben oft Mühe, ihre eigenen Emotionen zu erkennen, einzuordnen, zu benennen und dabei eine gewisse innere Distanz zu entwickeln. Sie werden gewissermassen überflutet von ihren eigenen Gefühlen, sind dadurch nicht selten bedroht oder überfordert. Dies führt dann zu Handlungen, die die Patientinnen und Patienten nicht mehr gut kontrollieren können, wie beispielsweise plötzliche Beziehungsabbrüche, Wutausbrüche oder auch selbstverletzende, spannungsregulierende Handlungen. Persönliche, aber auch Arbeitsbeziehungen sind oftmals schwierig aufrechtzuhalten. Betroffene brauchen verlässliche, stabile, wohlwollende, aber klare und verlässliche Beziehungen. Dann kann eine Teilhabe an der Gesellschaft gut gelingen. Es ist auch wichtig zu betonen, dass es unterschiedliche Ausmasse der Störung gibt und sich betroffene Menschen mit ihrer Lebens- oder auch Therapieerfahrung häufig gut kennengelernt haben und ein erfüllendes Leben haben können. 

Was sind die Ursachen für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Persönlichkeitsstörungen galten lange als rein erworbene Störungen. Heute sieht man es etwas differenzierter und es werden auch genetische oder mindestens familiäre (transgenerationale) Ursachen diskutiert. Die erworbene Komponente bleibt aber die meistgenannte. Dabei wurde in den letzten Jahren immer deutlicher, dass sehr viele «Borderline»-Patientinnen und -patienten traumatische biographische Erlebnisse berichten. Es handelt sich dabei nicht ausschliesslich um Missbrauchserleben, sondern auch um andere sogenannte Adverse Childhood Experiences (ACE), wie beispielsweise emotionale Entbehrung oder mangelndes Sicherheitsempfinden als Kind. Die sogenannte «komplexe Traumafolgestörung», wie sie in der neuen Klassifikation psychischer Erkrankungen beschrieben wird, hat denn eine grosse Überlappung mit der Borderlineerkrankung. Gewisse Forschende sagen, eigentlich sei es ein und dasselbe. 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Menschen mit Borderline?

Die Behandlung ist eine Domäne der Psychotherapie. Es gibt keine Medikamente gegen eine Borderlinestörung. Trotzdem werden solche gelegentlich verschrieben, beispielsweise bei Schlafstörungen oder Depressionen, die aufgrund der Persönlichkeitsproblematik zusätzlich auftreten können. In der Psychotherapie geht es zuallererst um das Schaffen einer tragfähigen, verlässlichen, vertrauensvollen Beziehung. Dies kann unter Umständen eine schwierige, langwierige Arbeit sowohl für die Betroffenen als auch für die Therapeutinnen und Therapeuten sein. Zudem gibt es einige sehr gut untersuchte und breit angewandte spezifische Therapieverfahren wie die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) oder die Übertragungsfokussierte Therapie (TFP), die auch in dafür spezialisierten Psychotherapiestationen angeboten werden. Bekannt ist auch das sogenannte Skillstraining, das aus der DBT stammt und breit angewandt wird. Dabei lernen Patientinnen und Patienten Werkzeuge kennen, wie sie ihr Erleben besser wahrnehmen und steuern können. Viele haben einen eigentlichen «Skillskoffer» zusammengestellt, aus dem sie sich dann je nach Situation Hilfe zuführen können. Bei klaren Traumatas in der Biographie bieten sich zudem traumafokussierte Therapien an. Alle Therapieverfahren müssen mit den Betroffenen sorgfältig evaluiert und ausgewählt werden. Dies gehört bereits zur eigentlichen Therapie. 

Wie können Angehörige und Freunde von Menschen mit Borderline-Störung helfen?

Wie für Betroffene selbst ist es wichtig, einige Dinge über die Besonderheiten der Krankheit zu kennen und «Bescheid zu wissen». Dies hilft, Fehlverhalten vorzubeugen und empathischer auf die Betroffenen eingehen zu können. Da es sich (definitionsgemäss) um eine langanhaltende Thematik handelt, werden die betroffenen Menschen eigentliche Expertinnen und Experten ihrer Krankheit. Angehörige können dies nutzen und bei den Betroffenen erfragen, was helfen könnte, welche Unterstützung sie anbieten sollen und welche nicht. Dadurch kann die Hilflosigkeit gemindert werden, die gelegentlich entstehen kann im Umgang mit Borderline-Patientinnen und -Patienten in einer Krise. Falls möglich, sind anhaltende, verlässliche Beziehungen wichtig, die nicht nach einem Konflikt gleich aufgegeben werden. Dies erfordert von Angehörigen oftmals viel persönliche Resilienz. Dabei hilft es möglicherweise auch, sich als Freundin oder Freund selbst psychotherapeutisch beraten zu lassen. Es gibt auch Angehörigengruppen im Rahmen der Selbsthilfebewegung.

Welche Fortschritte gibt es in der Forschung zur Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Wie oben werden die Überlappungen zwischen der Borderlineerkrankung und Traumfolgestörungen immer deutlicher. Entsprechend dürften sich die Therapiekonzepte angleichen. Es dient möglicherweise auch einer gewissen Entstigmatisierung. «Boderliner:innen» leiden oft unter dem Stempel («Stigma»), den man ihnen verpasst hat. Die heftig geführte Debatte, ob der Begriff der Borderlinestörung in der neuen Klassifikation (ICD 11) abgeschafft werden soll (zugunsten der oben erwähnten dimensionalen Einteilung von Persönlichkeitsstörungen) hat auch mit der Stigmatisierung des Begriffs zu tun, ähnlich wie vor Jahrzehnten die «hysterischer Störung». Vorläufig bleibt der Begriff nun wohl erhalten, als einzige «Schublade» innerhalb der Persönlichkeitsstörungen. 

Was ist Ihre wichtigste Botschaft an Menschen, die mit Borderline zu kämpfen haben?

Ich persönlich betrachte das Konstrukt der einzelnen Persönlichkeitsstörungen als in sich geschlossene Krankheitsentitäten kritisch und bin dankbar für das neue Modell der Dimensionalität, das nun die Kategorisierung ersetzen soll. Es hilft auch Betroffenen, sich eher als «Menschen mit besonderen Eigenschaften» denn als «persönlichkeitsgestörte Kranke» zu identifizieren. Rainer Sachse (ein deutscher Psychotherapeut) bezeichnet das problematische Verhalten von Menschen mit belastenden Biografien als «kreativen Lösungsversuch», bisher nicht erfüllte Grundbedürfnisse befriedigt zu bekommen. Leider gelingt dies dann eben nicht beziehungsweise nur mit vielen Nebenwirkungen. Aber es scheint mir ein hilfreiches Konzept und eine wichtige Botschaft für Patientinnen und Patienten, aber auch Therapeutinnen und Therapeuten zu sein.

 

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine oftmals belastende, aber behandelbare Erkrankung. Dr. med. Ruedi Schweizer zeigt uns, dass es für Betroffene Hoffnung gibt – sei es durch eine geeignete Therapie, durch Unterstützung aus dem Umfeld oder durch die kontinuierliche Forschung, die immer mehr neue Ansätze bietet. Es ist wichtig, dass Menschen mit Borderline die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, und dass das Thema weiterhin entstigmatisiert wird.

Wir sind für Sie da

Zentrum für psychische Gesundheit

Unser Zentrum für psychische Gesundheit ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Spital Zollikerberg und der Privatklinik Hohenegg. Unter einem Dach vereinen wir psychologische Psychotherapeutinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die sich durch ausgewiesene Expertise auszeichnen.

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